Simplon by Wolfgang Mock

Simplon by Wolfgang Mock

Autor:Wolfgang Mock
Die sprache: de
Format: mobi, epub
veröffentlicht: 2012-01-31T20:29:09+00:00


20

Alessandro blickte auf, als die ersten Sonnenstrahlen die Kapelle von Trasquera auf dem gegenüberliegenden Hang aufleuchten ließen. Er hielt inne, einen Bohrkopf in der Hand, ein dickes Rohr mit scharfer, gehärteter Krone. Das Rohr war verbogen, aus dem Bohrkopf ein Zahn gebrochen.

Das Tal lärmte. Langsam stieg das Rot des Herbstes in die Blätter. Viel blieb nicht mehr von diesem Jahr, dachte er, dem ersten des 20. Jahrhunderts. Dreieinhalb Jahre lebten sie schon hier, und noch länger war es her, dass er mit Gianna zum ersten Mal in das Tal gekommen war. Er sah ihren Körper vor sich, im Licht, das durch die Eisblumen brach und dachte an dieses seltsame Gefühl der Fremdheit, das sich zwischen sie geschoben hatte und seitdem nie wieder verschwunden war. Und ihm fehlte die Zeit, es zu verjagen. Die Zeit, die ihm im Tunnel durch die Finger glitt.

„Ingegnere“, rief einer der Arbeiter.

Alessandro schreckte hoch und warf ihm den Bohrkopf zu.

„Wieder einer. Ihr müsst sie besser kontrollieren, bevor ihr sie ins Lager bringt.“

Seit Beginn der Sechs-Uhr-Schicht kontrollierte er mit drei Arbeitern aus der Schmiede die Bohrköpfe. Immer wieder hatte es in den letzten Wochen Probleme gegeben, weil der Nachschub stockte, als sie im harten Gneis mehr Bohrköpfe verschlissen als geplant. Fast fünfhundert Bohrköpfe waren es an manchen Tagen. Die Schmiede konnte sie nicht schnell genug nachschmieden und aushärten. Schlecht erneuerte Bohrköpfe waren in den Tunnel gebracht worden, sie brachen oder verbogen sich, der Vortrieb kam nicht weiter. Die Mineure prügelten sich mit den Arbeitern aus der Schmiede, wegen der defekten Bohrköpfe hatten sie ihre Bonus-Zahlungen verloren. Wenn eine Schicht schneller voran kam als geplant, gab es ein oder zwei Lire mehr.

Den ganzen Vormittag sortierte Alessandro mit den Arbeitern die Bohrköpfe, der Berg der defekten oder schlecht nachgeschmiedeten stieg langsam. Sie machten erst Pause, als die Glocken von Varzo und Trasquera zu Mittag läuteten. Die Arbeiter stopften sich ihre Pfeifen und ließen eine Flasche Roten herumgehen. Als sie ihn Alessandro hinhielten, sah er ihre lauernden Blicke, zögerte einen Moment. Er wusste, dass sie ihn provozierten und auf eine Reaktion warteten. Niemand hielt sich daran, dass Alkohol während der Arbeit verboten war, selbst im Tunnel tranken sie mit Wasser verdünnten Wein. Eine Sekunde lang dachte Alessandro an Bellmers Bemerkung „Ihnen vertrauen Sie doch“, dann nahm er einen Schluck und setzte sich zu den Arbeitern in die Sonne.



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